Es kommt mir so vor, als wäre es Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gewesen, als mich ein junger Drucker ansprach, er würde gern mit einigen meiner Gedichte typographisch experimentieren und sie anders setzen, als sie in meinen Gedichtbänden abgedruckt waren. Leichtsinnig (oder betrunken) wie ich damals war, stimmte ich zu, nicht ahnend, dass der junge Mensch durchaus professionelle Ansprüche hatte und aus seiner Passion irgendwann ein Gewerbe machen würde. Es ging ihm nicht um Profit oder Ruhm, es ging ihm – und das ist allen Wenden und Veränderungen zum Trotz so geblieben – um die Sache, die Sache des Wortes und der Literatur.
Man würde gern meinen, dass dies bei einem Verleger nur normal sein dürfte, man weiß allerdings, dass auf diese Annahme kein Verlass mehr ist. Marc Berger ist ein Mann, der sich mit Leib und Seele der schwarzen Kunst verschrieben hat, ich kenne kein Druckwerk von ihm, das ich nicht gern in meinen Regalen wiederfinden möchte. Dankbare Umarmung.
Steffen Mensching
(2015, zum 25. Geburtstag der Edition)
Marc Berger hat 26 Freunde. Manchmal spielt er mit ihnen, manchmal stellt er sie in Reih und Glied auf, lässt sie tanzen, umfallen, klettern, kopfstehen. Seine Freunde heißen A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, X, Y, unf Z. Er inszeniert sie typografisch – auf Karten, Plakaten, in Büchern. Er setzt und druckt, bindet und verkauft seine Waren. Marc Berger ist im Kapitalismus angekommen und sein eigener Ausbeuter geworden.
Dabei hatte alles so harmlos angefangen: Im damaligen Pionierpalast betrat der 13-jährige Marc erstmals eine Setzerei, setzte mit der Hand seine ersten Worte und wollte fortan nichts anderes mehr machen als Drucksachen zu gestalten. Er lernte Drucker, arbeitete als Setzer und Verlagshersteller. Bis die Wende kam und die Entlassung. Berger schlug sich von Druckerei zu Druckerei durch, arbeitete bei verschiedenen Verlagen. Schon 1990 hatte er in Westberlin den Handpressenkünstler Dieter Wagner kennengelernt. Berger, der aus einem kleinen Land kam, das jeder Vervielfältigungsmöglichkeit argwöhnisch gegenübergestanden hatte, staunte. »Das war völliges Neuland für mich, daß jemand von Hand wirklich allein ganze Bücher herstellt«, erinnert sich Marc Berger an die erste, folgenreiche Begegnung. Die ganze Nacht zeigte Wagner ihm seine Schätze, Berger war klar: Das will ich auch machen. Sein damaliger Chef ließ ihm die Möglichkeit, nach Feierabend die Technik zu nutzen, Berger machte sein erstes Buch in einer 222er Auflage: Gedichte von Steffen Mensching. Und er schuf den V.E.B. Schwarzdruck, den »Vollstrecker Erbarmungslosen Buchdrucks«.
Als 1996 mal wieder Schluß mit einer Firma war, machte sich Marc Berger mit seinem Schwarzdruck selbstständig. Die Druckerei mit den Handpressen und Setzkästen wurde in Hohen Neuendorf eingerichtet. Das ehemalige Wochenendhäuschen der Eltern wurde zur Druckerei und bald zu eng. So kaufte Berger einen alten Kornspeicher und will ihn ausbauen. Aber das kostet Geld – und Geld verdient sich mit handgemachten Büchern, Plakaten, Drucken, Festblättern oder Visitenkarten mehr als mühsam. So sammelt sich in dem Granseer Backsteinbau erst einmal alte Technik, werden Setzkästen mit Bleibuchstaben vieler Schriftarten – Baskerville und Bravour, Thannhaeuser und Schwabacher, Berliner Grotesk und Leipziger Antiqua – gehortet. »Später gibts keine Ersatzteile« weiß Marc Berger. Und deshalb fahndet er weiter nach Holz- und Bleischriften, Maschinen, Matrizen und Schriftstempel. Geschenkt oder preisgünstig. Da sucht er auch eine Schnellpresse mit drei Auftragswalzen und stabilem Zylinder, am liebsten eine »Victoria 800«. Die Bücher – in Auflagen von 50 bis 700 Exemplaren gedruckt – finden ihre Käufer mühsam. Die Internetseite ist immer noch Baustelle. »Wir haben ein Stammpublikum, das wir erreichen. Wir suchen neue Kontakte auf speziellen Messen« erklärt Marc Berger, dem das Kaufmännische so gar nicht liegt.
Er will lieber Bücher machen. So wie derzeit, mit Spaß und mal wieder unter Hochdruck. Denn im Mai sollen zwei neue Bücher fertig sein, dann fährt Marc Berger nach Mainz zur 18. Minipressenmesse, wo sich Kleinverleger und Handpressendrucker vorstellen. Mit einer grafischen Abrechnung zur »Quote« und mit einer modernen Nibelungen-Zeitungsausgabe, deren Seite 1 titelt: »Gemetzel bei Etzel«. Das verrät eine wesentliche Seite von Marc Berger: für ihn ist Humor eine Produktivkraft. Davon künden seine politisch-witzig-bissigen Karten mit Sprüchen wie »Im Westen ist auch nicht alles gut« oder seine Beiträge zu »Die 100 Wörter des Jahrhunderts« – da steht das Wort Blockwart, natürlich in Blockbuchstaben, aus dem O späht ein Auge; die Buchstaben der »Planwirtschaft« liegen plan, also flach und umgefallen auf dem Boden, einer roten Linie.
Neben der heiteren beherrscht Berger aber auch die ernsthafte Gangart. Seine illustrierten Bücher und seine Taschenbuchreihe bieten Texte von Anna Seghers, Wolfgang Kohlhaase, Christoph Hein, Waldtraut Lewin und anderen. »Unsere Texte sind deutschsprachig, weil wir das am besten verstehen. Schwerpunkt ist die DDR-Literatur, weil wir die am besten kennen.« erklärt Berger sein Produktionsprofil. Daneben ist er offen und neugierig auf neue Begegnungen. So stieß er auf die Texte und Lyrik von Arthur West, einem jüdischen Kommunisten aus Wien, von dem er schon drei Gedicht- und Textbände herausgegeben hat. Die Zeichnung auf dem Titel stammt von Roland Berger, dem Vater Marc Bergers, der viele seiner Bücher illustriert und mit vorzüglichen Holzschnitten versieht. Auch die Freundin Undine Schneider illustriert, die Mutter und Literaturwissenschaftlerin Christel Berger schreibt Vorwörter. Eine Art Familienunternehmen ist entstanden.
Und weil Marc Berger das Wort liebt, liebt er auch einen, der vorzüglich mit Worten umzugehen verstand. »Handreichung zum Goethe-Jahr« nannte er seinen schmalen Band mit Zitaten des Meisters. Nach dem ersten Umblättern stößt man auf den schönen Satz: »Das ganze Leben/besteht aus/Wollen und/Nicht-Vollbringen,/Vollbringen und/Nicht-Wollen.« Marc Berger will und vollbringt. Die Ideen und die Kraft dafür bringt er immer wieder auf, weil er Hoffnung in seinen alten Beruf hat, weil er für kunstvolle und künstlerisch gestaltete Bücher eine Zukunft sieht. Weil er auf Menschen setzt, die solche Bücher lieben und nicht nur auf den Computer setzen. Der Computer hat schließlich nur zwei Freunde: 1 und 0.
Fröhlich sein und Drucken – 15 Jahre Edition Schwarzdruck
Marlies Schnaibel in der »Märkische Allgemeinen«, 19. April 2005